“Entscheidungen treffen, richtig und schnell.”
“Besser entscheiden in nur 5 Minuten.”
“Methoden für kluge Entscheidungen.”
Das sind Titel von Büchern und Artikel, wenn du im Web nach “richtig entscheiden” suchst. Das Ziel vieler dieser Bücher und Artikel ist, dir Methoden an die Hand zu geben, richtige Entscheidungen zu treffen.
Zwei dieser Tipps/Methoden, wie sie Ratgeber anbieten, findest du kurz und prägnant in diesem Artikel. Doch eigentlich geht es mir beim Thema Entscheidungen um etwas anderes: Diese Tipps und Methoden vergessen nämlich oft unsere Sichtweise auf Entscheidungen, die uns das Entscheiden schwer macht – egal wie effektiv die Methode ist.
Darum geht es im Artikel: Neue Sichtweisen auf Entscheidungen gewinnen, die das Entscheiden leicht, stimmig und angenehm machen.
Werfen wir einen kurzen Blick, was uns Ratgeber empfehlen, um gute Entscheidungen zu treffen:
Tipp 1: Ich fühle, also bin ich
Seit dem Buch “Somatische Marker” von Damasio liegt das Bauchgefühl wieder ganz oben im Trend. Wenn wir Entscheidungen treffen, sollten wir uns weniger auf unseren Verstand verlassen und mehr auf unser Bauchgefühl hören.
Ein besonderer Fall hat Damasio zu seinen Büchern inspiriert:
Elliot, ein Patient von Damasio, hatte eine OP hinter sich, in der kleine Teile seines Frontalhirns entfernt wurden. Er überstand die Operation und konnte nach seiner Genesung zurück in den Alltag. Dort stieß er allerdings auf unüberwindbare Schwierigkeiten: Er konnte sich nicht entscheiden.
Stundenlang saß er im Auto, weil er sich nicht entscheiden konnte, welches Autoradio er anmachen sollte. Legte man ihm einen blauen und einen schwarzen Stift auf den Tisch, hatte er Schwierigkeiten, mit dem Schreiben zu beginnen, weil er sich für keinen Stift entscheiden konnte.
Damasio hatte regelmäßige Gespräche mit Elliot. Zusätzlich befragte er Verwandte über ihre Beobachtungen. Alle berichteten ihm, dass Elliot neben seiner Entscheidungslosigkeit nicht die geringste Emotion zeigte. Er schien völlig neutral und unberührt. Auch Damasio machte diese Beobachtung in gemeinsamen Gesprächen mit ihm.
Das führte Damasio dazu, anzunehmen, dass Gefühle für Entscheidungsprozesse wesentlich sind. Gefühle scheinen Entscheidungen nicht zu behindern, sondern sogar notwendig dafür zu sein. Deswegen prägte Damasio den Satz: Ich fühle also bin ich.
Tipp 2: Ich denke, also bin ich
Das Bauchgefühl scheint wichtig zu sein, ist aber nicht der einzige Aspekt guter Entscheidungen. In Stresssituationen (Situationen in denen wir keine Zeit zum Nachdenken haben), scheinen wir systematisch ungünstigere Entscheidungen zu treffen, obwohl die Entscheidungen großteils auf dem Bauchgefühl beruhen.
Das ist besonders dann der Fall, wenn uns die Situation nicht vertraut ist und wir wenig Erfahrungen damit gemacht haben.
Deswegen lautet der zweite Tipp vieler Ratgeber, um richtige Entscheidungen zu treffen: Vertraue deinem Bauchgefühl nur in Situationen, in denen du erfahren bist und lass dir ansonsten Zeit zum Nachdenken. Dieser Tipp entspricht eher Descartes Satz: Ich denke, also bin ich.
Warum die Methoden nicht klappen und neue Sichtweisen
Was in beiden Tipps außer Acht gelassen wird, ist, dass das Ziel, richtige Entscheidungen zu treffen, Entscheidungen oft eher verkompliziert, als erleichtert – egal wie gut die Technik ist, die du anwendest.
Hier ist warum:
Die einzige Gewissheit, wenn du dich entscheidest
Was ist die einzige Gewissheit, die wir haben, wenn wir versuchen, die richtige Entscheidung zu treffen?
Eine Person kann sich zwischen Option A und B entscheiden. Beide Optionen haben ihre Für und Wider. Entscheidet sich die Person jetzt für Option B, welche Gewissheit hat sie?
Sie ist ungewiss, ob die Vorteile auch wirklich so eintreffen, wie sie das vorgesehen hat.
Die einzige Gewissheit, die sie hat, ist: Wenn die Folgen der Entscheidung eintreffen und diese nicht wie gewünscht sind, dann wird das Ich in der Zukunft, das Ich in der Vergangenheit für diese “blöde” Entscheidung abwerten und fertig machen.
Das ist nicht gerade eine einladende Vorstellung, um Entscheidungen zu treffen.
Rückschaufehler
Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.
In der Psychologie nennen Forscher dieses Phänomen Rückschaufehler.
Wir überschätzen im Nachhinein unsere Fähigkeit, dass man die unangenehmen Folgen hätte voraussehen können.
Ein Beispiel: Ich fuhr mit meinem Fahrrad auf einem Gehsteig neben einer stark befahrenen Schnellstraße. Als der Gehsteig endete, schaute ich nach hinten und sah etwas weiter weg ein Auto kommen. Ich entschied mich relativ schnell, mit meinem gefederten Mountainbike den “Sprung” vom Gehsteig auf die Straße zu wagen – die Gefahr schien mir gering. Ich fuhr vom Gehsteig auf die Straße und hörte etwas auf den Boden aufschlagen. Ich sah zurück und sah meine volle Satteltasche auf der Straße liegen.
Ich stieg in Sekundenbruchteile vom Fahrrad, schmiss das Fahrrad in den Straßengraben und entfernte die Tasche von der Straße, bevor mich das nächste Auto erreichte.
Abgesehen davon, dass es ein Schock war, machte ich mir im Nachhinein Vorwürfe, so eine leichtfertige Entscheidung getroffen zu haben.
Was ich im Nachhinein nicht berücksichtigte, war aber, dass ich zum Zeitpunkt des Sprungs wirklich nicht annehmen konnte, dass die Halterungen der Satteltasche brechen würden. Ich betrachtete die vorhandenen Informationen, die ich zum Zeitpunkt der Entscheidung hatte, unter dem Einfluss des eingetretenen Ereignisses.
Ein anderes Beispiel für den Rückschaufehler ist die Nazizeit. In meiner Schulzeit dachte ich mir in Geschichte oft, wie blöd und dumm es von unseren Vorfahren gewesen ist, der NSDAP blind zu folgen. Haben sie es nicht kommen sehen? Es war doch offensichtlich!?
Das ist auch der Rückschaufehler: Ich betrachtete die damals vorhandene Informationen unter dem Einfluss der eingetretenen Ereignisse anders, als Menschen zu dieser Zeit.
Der Rückschaufehler hat einige Implikationen für den Umgang mit uns selbst bei sogenannten „Fehlentscheidungen“.
Ein neuer Blick auf Fehlentscheidungen
Sometimes the wrong choices bring us to the right places
Fehlentscheidungen oder falsche Entscheidungen ist eine ungünstige Beschreibung, für den Fall, dass die Konsequenzen einer Entscheidung nicht wie gewünscht eingetroffen sind.
Meine Absicht war es, mit meinem Fahrrad sicher auf der Straße zu landen und zügig weiter zu fahren. Die Konsequenz meiner Entscheidung war allerdings, dass meine Satteltasche auf der Straße landete – was dazu führte, dass ich weder sicher landete, noch zügig weiter fahren konnte.
Meine Absicht ist es mit der Entscheidung ein gewisses Ziel zu erreichen. Die Konsequenz ist dann der Prüfstein, ob mein Ziel erfüllt wurde.
Fehlentscheidung heißt eigentlich, dass die Konsequenzen nicht meiner Absicht entsprechen.
Bewerte ich meine Entscheidung in der Rückschau als “falsch”, dann impliziere ich damit auch oft, dass meine Absicht falsch ist und werte mich für die Entscheidung ab. Das ist für mich eine ungünstige Verallgemeinerung, die unter anderem auf dem Rückschaufehler beruht.
Was ein Teil von uns aus dieser Situation lernt: Fehlentscheidungen werden mit Selbstvorwürfen abgestraft. Die einzige Gewissheit, die wir haben, ist, dass wir uns selbst für die ungewünschten Folgen unserer Entscheidung abwerten.
Das macht es uns in Zukunft wiederum schwer, uns zu entscheiden.
Die Entscheidung, die du triffst, wenn du keine Entscheidung triffst
Unsere Angst vor sogenannten falschen Entscheidungen (bzw. vor unseren Selbstabwertungen) macht das Ziel, „richtige“ oder „gute“ Entscheidungen zu treffen, sehr attraktiv. Diese Suche nach der richtigen Entscheidung führt oft dazu, dass wir die Entscheidung aufschieben.
Wenn wir eine Entscheidung aufschieben, ist uns oft nicht bewusst, dass wir in diesem Moment eine Entscheidung getroffen haben: Wir haben uns für keine der bewusst gesammelten Optionen entschieden, sondern dafür, dass wir uns nicht entscheiden. Das ist in der Absicht zwar keine Entscheidung in der Wirkung aber sehr wohl.
An irgendeinem Punkt muss man den Sprung ins Ungewisse wagen. Erstens, weil selbst die richtige Entscheidung falsch ist, wenn sie zu spät erfolgt. Zweitens, weil es in den meisten Fällen so etwas wie eine Gewissheit gar nicht gibt.
Ein neuer Blick auf Entscheidungen
Die absolut richtige Entscheidung gibt es in meinen Augen nicht. Entscheidungen sind immer in einen Kontext eingebettet: relativ zu einem Ziel oder Bedürfnis, das ich erreichen/erfüllen will. Somit gibt es für mich nur Entscheidungen, die mehr oder weniger für mein Ziel förderlich ist.
Ich wollte mir vor vier Jahren ein neues Notebook kaufen und die beste Wahl finden. Ich verglich verschiedene Notebooks, schrieb deren Merkmale auf und las mir verschiedene Reviews durch. Am Ende kristallisierten sich drei Favoriten heraus und doch konnte ich mich nicht wirklich entscheiden. Ich war mir über einige Vor- und Nachteile sehr unsicher und wurde langsam frustriert über den Entscheidungsprozess.
Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit nach innen und fragte mich, was ich von den Notebooks eigentlich wollte. Es fiel mir relativ leicht, darauf Antworten zu finden: Am allerwichtigsten war mir, mich auf das Notebook verlassen zu können (Problemlosigkeit, Service, Qualität, Langlebigkeit). Ich entschied mich dann für das Notebook, das am ehesten dieses Bedürfnis zu erfüllen versprach (und bin mit dieser Entscheidung bis heute glücklich!).
Was heißen diese Sichtweisen konkret für deine Entscheidungen?
- Nutze die Entscheidungsmethode deiner Wahl: WWVT (Was würde mein Vorbild tun?), eine Für und Wider Liste oder einen einfachen Münzwurf. Die Methode ist nicht so wichtig.
- Versuche nicht eine richtige Entscheidung zu treffen. Setze deine Entscheidung in Bezug zu einem Ziel oder Bedürfnis. Wähle die Option, die aufgrund deines heutigen Wissens am ehesten deinem Ziel dient.
- Sind die Konsequenzen nicht wie gewünscht, sei dir des Rückschaufehlers bewusst und würdige dein früheres Ich (das die Entscheidung getroffen hat), für dessen Mut sich trotz ungewisser Ausgangslage zu entscheiden (anstelle es abzuwerten).
Die wichtigste Entscheidung in deinem Leben
Wenn es im Leben eine richtige oder perfekte Entscheidung gibt (und da bin ich nach wie vor skeptisch), dann ist es diese:
Übernimm Verantwortung über deine Entscheidungen – schiebe sie nicht auf.
Denn immer wenn du keine Entscheidung triffst, trifft sie jemand anderes für dich.
Hat dir dieser Post gefallen? Dann teile ihn mit deinen Freunden auf Facebook oder per E-Mail.
Alles Liebe,
Raphael