Wie dir das Eisbergmodell bei Konflikten helfen kann

Was haben Eisberge mit Menschen gemein?

einstein

Einstein: „Nach dem Gesetz der Thermodynamik sind Menschen und Eisberge lediglich zwei verschiedene Formen von Energie.“

OK: Was haben Menschen außer dem Gesetz der Thermodynamik gemeinsam? Eisberge¹ sind nur zu 10% sichtbar. Die restlichen 90% sind unter der Meeresoberfläche und somit nicht sichtbar.

Ganz ähnlich ist es bei Menschen in Konflikten. 10% der Person sind sichtbar: Was wir offensichtlich tun, was wir sagen etc.; 90% sind zunächst nicht sichtbar: Unsere Absicht hinter unserem Verhalten, unsere Gefühle, Bedürfnisse, Erfahrungen, kulturelle Prägung usw.

Wenn man Menschen als Eisberge abbildet, dann sähe das ungefähr so aus:

eisbergmodell

Diese Analogie kann uns einiges über Konflikte lehren und gibt uns Ideen, wie wir mit Konflikten umgehen können.

Was passiert in einem üblichen Konflikt?

Wir sehen nicht den ganzen Eisberg, sondern lediglich den sichtbaren Teil. Weil wir nicht den ganzen Eisberg sehen, ist für uns der sichtbare Teil unverständlich. (Wtf, wie kann ein Berg aus Eis so auf der Wasseroberfläche schwimmen?!)  Wir bewerten den sichtbaren Teil negativ: Verrückt, idiotisch, unterentwickelt, etc.

Ein Beispiel für sichtbares Verhalten: Ein Paar hat eine unterschiedliche Meinung darüber, ob die Klopapierrolle links rum oder rechts rum aufgehängt werden sollte. Das ist zunächst sichtbar: Die unterschiedliche Meinung beider Partner. Beide finden die jeweils andere Meinung falsch und streiten sich über die “richtige” Art und Weise, Klopapier aufzuhängen.

Beide sehen nur die Spitze des Eisbergs. Alles andere wird nicht wahrgenommen, was dazu führt, dass sie Schwarz-Weiß bewerten, was falsch oder nicht falsch ist, wer Recht hat oder nicht Recht hat.

Was wir im Konflikt nicht sehen, ist, dass es unter dem sichtbaren Verhalten und Aussagen einen großen Pool an verschiedenen Gefühlen, Bedürfnissen, Erfahrungen, kulturellen Prägungen und mehr gibt. Dieser nicht sichtbare Bereich des Menschen ist der Kontext, der das Sichtbare verstehbar macht.

Die Eisbergspitze könnte nicht über Wasser schwimmen, gäbe es nicht die anderen 90% unter Wasser. Genau so ist es beim Menschen: Wir würden nicht dieses oder jenes Verhalten zeigen, hätten wir nicht bestimmte (zunächst) nichtsichtbare Erfahrungen, Annahmen und Bedürfnisse.

Das führt uns zu einer in Konflikten bewährte Grundannahme der Gewaltfreien Kommunikation:

Was wir sagen, tun und fühlen, ist Ausdruck unserer allgemein anerkennenswerten Grundbedürfnisse. Gefühle signalisieren unbewusste Bedürfnisse.

Diese Annahme hat einige logische Folgen:

  1. Wenn wir Kritik hören, hat das nur zweitrangig mit uns zu tun und erstrangig mit den Bedürfnissen, Erfahrungen etc. des Gegenübers. Diese Annahme hilft uns, uns besser von Vorwürfen abzugrenzen.
  2. Was wir außen wahrnehmen wie z.B. ein Verhalten, das uns nicht gefällt, ist zwar der Auslöser unserer Gefühle, aber nicht der Ursprung (der erste Blick trügt, mehr dazu hier). Wir sind mit unseren Erfahrungen, Bedürfnissen erstrangig für unsere Gefühle verantwortlich.
  3. Wenn wir mit diesen teilweise unbewussten Bedürfnissen in Kontakt kommen, werden unsere Gefühle/wird unser Verhalten verstehbar. Wenn wir also mit dem Unsichtbaren unseres Gegenübers in Kontakt treten, hilft uns das, gegenseitiges Verständnis, Empathie und Mitgefühl füreinander zu entwickeln.

OK: Spielen wir diese Annahmen noch einmal anhand eines konkreten Beispiels durch.

Nehmen wir an, die Eisberge sind zwei Personen in einer Partnerschaft. Franzi (linker Eisberg) ist der Meinung, dass sie sich nur einmal in der Woche treffen sollten. Hans (der rechte Eisberg) will sich allerdings mindestens viermal in der Woche treffen.

Soweit haben wir lediglich zwei unterschiedliche Wünsche, die zurzeit sichtbar sind.

Franzi versteht nicht, warum sich Hans viermal pro Woche treffen will: Sie sieht seinen Wunsch getrennt von seinen Bedürfnissen, Erfahrungen etc. Weil sie nicht versteht, warum Hans so denkt, bilden sich in ihrem Kopf halbautomatisch Vorwürfe: “Hans klammere und sei anhänglich.”

Hans versteht nicht, warum Franzi sich nur einmal in der Woche mit ihm treffen will. Er sieht ihren Wunsch auch getrennt von ihren Bedürfnissen.

Weil der Wunsch für Hans nicht verständlich ist, bilden sich auch in ihm Urteile über Franzi: “Sie sei egoistisch, denkt nur an sich und nicht an die Beziehung.“

Beide verstehen den Wunsch des jeweils anderen nicht. Sie sehen den Wunsch getrennt von den nicht offensichtlichen Bedürfnissen, Gefühlen und Erfahrungen. Deswegen finden sie den anderen Wunsch nicht verständlich und urteilen im Schwarz-Weiß-Muster: “Du bist anhänglich!” und “Du bist egoistisch!”.

Hans: “Ich würde mich gern viermal die Woche treffen.”
Franzi: “Das gefällt mir nicht.”
Hans: “Findest du nicht, dass du auch etwas mehr auf die Beziehung schauen solltest?”
Franzi: “Findest DU nicht, dass du ein bisschen gar anhänglich bist?”
Hans: “Egoistin!”
Franzi: “Du klammerst!”

Jetzt beamen wir diese Grundannahme mit ihren logischen Konsequenzen in Franzis Kopf.

Wie verläuft jetzt der Konflikt?

Hans: “Ich würde mich gern viermal die Woche treffen.”
Franzi: “Das gefällt mir nicht.”
Hans: “Findest du nicht, dass du auch etwas mehr auf die Beziehung schauen solltest?”

Franzi weiß, dass, obwohl die Aussage von Hans wie ein Vorwurf klingt, der Vorwurf weniger mit ihr, als mit den Bedürfnissen und Gefühlen von Hans zu tun hat. Sie fragt sich, was Hans gerade fühlt und braucht: Womöglich ist ihm Nähe und Liebe wichtig und dass die Beziehung auf einer Augenhöhe ist und nicht ein Partner in der Beziehung mehr oder weniger will als der/die andere.

Obwohl sich Franzi von der Aussage besser abgrenzen kann, wurden in ihr Gefühle ausgelöst. Franzi weiß, dass die Aussage von Hans zwar der Auslöser war, aber nicht der Ursprung ihres Gefühls ist. Deswegen reflektiert Franzi, um ihr Gefühl durch ihre Bedürfnisse und Erfahrungen verstehbar zu machen und um sie besser akzeptieren zu können. Franzi kommt zum Schluss, dass ihr persönlicher Freiraum in einer Beziehung sehr wichtig ist.

Hans: “Na, was sagst du?”

Franzi vermutet, worum es Hans geht: “Hans, geht es dir darum, dass die Beziehung auf Augenhöhe ist und keiner den anderen dominiert/mehr oder weniger liebt/mehr oder weniger abhängig ist?”

Hans: “… ja vielleicht.”

eisbergmodell

Hans hat mit so einer Antwort nicht gerechnet. Bisher war er nicht mit seinen Bedürfnissen in Kontakt, sondern hat Franzi für seine unangenehmen Gefühle verantwortlich gemacht. Franzis Antwort lenkt seine Aufmerksamkeit in eine Richtung, in die er bisher noch nicht gesehen hat.

Franzi geht zunächst nicht auf Lösungen ein: Ihr oberstes Ziel ist zuerst, gegenseitiges Verständnis zu erreichen. Dieses Verständnis wird für beide spürbar, wenn der Mantel des Ärgers und Vorwurfs wegrutscht und in einem Moment des Verstehens sich beide in ihrer Menschlichkeit und ihren geteilten Bedürfnissen ganz annehmen können.

Franzi weiß auch, dass sich dieses Verständnis nicht plötzlich (wie von Zauberhand) einstellt, sondern dass es Stunden und Tage des Zuhörens braucht, um diesen Moment zu erreichen. (Sie weiß auch, dass sie Verständnis nicht erzwingen kann.)

In diesem Fall habe ich Franzi diese Haltung in den Kopf gebeamt. In unserem Fall braucht es Zeit, Reifung und viel Disziplin, um immer wieder hinter das Offensichtliche zu schauen.

Die gute Botschaft ist: Im Gegensatz zu Eisbergen können wir frei wählen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken wollen – was wir sichtbar werden lassen.

Unsere unterschiedlichen Strategien, Vorstellungen, Verhaltensweisen?

Oder unsere verbindenden Grundbedürfnisse (auf die wir es nicht gewohnt sind, zu blicken)?

Was wählst du? Und was macht es dir schwer, dich auf deine oder die Bedürfnisse deines Gegenübers zu konzentrieren? Schreib mir ein Kommentar.

Alles Liebe,
Raphael

Quellen, Fußnoten und mehr zum Thema

¹ Das Eisbergmodell geht auf Sigmund Freud zurück und wurde seit dem für viele Bereiche leicht modifiziert.

  1. Elisa Antworten

    Das hast du wirklich wundervoll lebendig, einfach verpackt und humorvoll geschrieben! Ich verstehe gerade gar nicht, wie du in deinem Gastbeitrag auf Anti-Uni geschrieben hast, dass du suvor dachtest, du könntest nicht schreiben. Du schreibst fantastisch! Ich freue mich aufs regelmäßige Lesen deines Blogs. 🙂

    PS: Ich liebe die Tatsache, dass du als Beispiel die Richtung der Klopapierrolle gewählt hast 😉 (Ich streite mich darüber nie mit meinem Freund, sondern hänge sie einfach um, haha)

    • Raphael Antworten

      Teilweise denke ich immer noch ich kann nicht schreiben. Zumindest ein Teil in mir denkt das – manchmal. Manchmal schreibe ich auch einfach – ohne Angst nicht gut genug zu schreiben. 🙂 Danke für deine Kommentar!

      Hihi – das ist natürlich auch eine Strategie. Und dein Freund hängt sie dann auch wieder um?

      Liebe Grüße,
      Raphael

  2. katja Antworten

    Hallo, bin durch viel suchen auf deine Seite gestoßen. Mach gerade eine berufsbegleitende Ausbildung und gerade sind wir bei Kommunikation und Konflikten – und somit bei meinem Problem.
    Meine Aufgabe ist es einen Konflikt zu finden/an Hand des Eisbergs darzustellen – inhaltlich habe ich das verstanden, nicht zuletzt durch deine Erklärung aber ich tue mich jetzt schwer das auf meinen Konflikt zu münzen.

    Mein Konflikt:
    Ich betreue einen Schüler in der Schule, immer wieder stehen wir Freitag früh vor dem Problem, dass er sein Wochenpensum nicht geschafft hat.

    Vielleicht kannst du mir helfen?

    Mit besten Grüßen

    Katja

    • Raphael Antworten

      Hallo Katja, danke für deinen Kommentar!

      In deinem Fall ist der sichtbare Fakt „Freitag früh, hat der Schüler nicht alle Aufgaben erledigt, die (zu Beginn der Woche?) vereinbart wurden.“ Das ist die Spitze des Eisbergs.

      Was steckt dahinter? Was ist die Absicht des Schülers? Welche Grundbedürfnisse versucht er sich durch sein Verhalten zu erfüllen? Was hat er gelernt, dass er denkt, dass er so seine Bedürfnisse besser erfüllen kann? Das sind Ebenen die erst sichtbar werden, wenn wir unsere Aufmerksamkeit gezielt darauf lenken (der untere Teil des Eisbergs).

      Hoffe ich konnte dir weiterhelfen!

      LG,
      Raphael

  3. Simon Antworten

    Hey Raphael,

    die Angst nicht richtig oder perfekt schreiben zu können, kenne ich zu gut. Bei mir liegt die Angst dann doch eher in der Grammatik, nicht richtig formulieren zu können — wie auch immer. Über das Eisberg – Modell werde ich nächste Woche ne Klausur schreiben müssen und muss sagen, dass Du eine super informative Seite kreiert hast, in der ich einiges an Informationen herausfinden konnte. In diesem Sinne, schönes Wochenende und noch eine schöne Zeit 🙂

    LG. Simon

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