Wenn heute mein letzter Tag wäre…

Nicole Frei hat auf ihrem Blog bewusst glücklich zur Blogparade aufgerufen.

Das Thema?

Was würdest du tun oder nicht tun, wenn heute dein letzter Tag wäre.

Das finde ich ein sehr spannendes Experiment. Wie würde mein letzter Tag aussehen, wenn ich ihn bewusst gestalten könnte?

Nehmen wir an, es ist 08:33 Uhr und um Punkt 24:00 Uhr ist alles vorbei.

Was würde ich tun?

Als erstes würde ich bei meinem Nebenjob anrufen, um meinen Kollegen zu sagen, dass ich nicht komme. Sie heben ab, ich will den Mund aufmachen, aber nichts kommt raus.

Ich realisiere, wie scheiße es ist zu sterben, breche den Anruf ab und wische mir eine Träne aus dem Gesicht.

Dann würde ich zum Kühlschrank gehen und Sojamilch trinken. Keine Ahnung, was ich an meinem letzten Tag machen will!

OK. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und denke nach. Erinnerungen strömen aus meinem Gedächtnis. Jede einzelne Erinnerung, für die ich dankbar bin, kritzle ich auf ein Blatt Papier. Ich mache die ultimative Liste und stelle die dann uneditiert auf den Blog (badass).

Ich picke alle Menschen aus der gerade erstellten Liste raus und schreibe persönliche Dankesbriefe an sie. Ich sage ihnen, wie viel sie mir bedeuten und dass ich sie lieb habe, so wie sie sind.

All die Menschen, denen ich schreibe, lade ich gleichzeitig ein, um die letzten Stunden zu feiern.

Nur wo…

Ich liebe Berge, Natur, Seen… Wir feiern am Wolfgangsee in der Nähe von Salzburg!

wolfgangsee2

Ich rufe im Kloster Gut Aich (am Wolfgangsee) an und frage, ob ich das Gästehaus für 40 Leute und zwei Nächte buchen kann. Sie sagen ja.

Aber ist es wirklich, das, was ich an meinem letzten Tag machen will? Ich zweifle. Für einen Moment halte ich inne und beobachte meine Körperempfindungen. Die Zeit löst sich auf und ich spüre einen Moment Ewigkeit. Ich komme mit meiner Aufmerksamkeit zurück in mein Zimmer. Was mache ich also? Zum Teufel mit den Zweifeln. Ich habe beschlossen, was ich an meinem letzten Tag machen werde.

Ich schicke die Einladungen aus.

Weg vom Schreibtisch: ich packe meinen Rucksack für die letzten Stunden: Tagebücher, iPad, Kleider, Taschentücher und Badesachen. Ich hole meine Freundin von der Arbeit und wir fahren mit dem Fahrrad zum Bahnhof und nehmen den nächsten Zug nach Salzburg.

Der Zug rollt los, mein erster Abschied: Goodbye Vienna!

Kloster Gut Aich

Kloster Gut Aich

Zur Mittagszeit sind wir im Kloster. Wir kommen gerade rechtzeitig zur Mittagsmeditation und nehmen daran teil. Eine halbe Stunde Stille. Um mich gibt es plötzlich ganz wenig: In mir ganz viel. Ich komme mit meinen Gefühlen in Kontakt. Schmerz. Trauer. Tränen füllen meine Augen. Sterben sucks.

Sterben sucks.

Der Gong wird geschlagen. Die Meditationszeit ist um. Ich schließe mich den Mönchen an und esse mit ihnen zu Mittag. Wir unterhalten uns, lachen und erzählen Klosterwitze. Ich sage ihnen, dass ich sie alle lieb habe und mir die Zeit bei ihnen sehr kostbar war.

Ich leihe mir das Klosterauto aus und fahre Lebensmittel einkaufen.

Es ist Nachmittag und die ersten Gäste treffen ein. Wir richten Decken, den Grillplatz, Musikinstrumente – direkt am Wolfgangsee.

Ich bin wieder unsicher. Werden alle kommen? Wie wird unsere letzte Zeit? Habe ich auch die richtige Wahl getroffen? Scheiß Zweifel.

Ich nehme Anlauf und springe in den Wolfgangsee. Ich klettere wieder ans Ufer. Andere sehen mir dabei zu. Ich finde die gesamte Situation einfach nur komisch und beginne zu lachen.

Ich erinnere mich an das Lachyoga, das ich vor kurzem gemacht habe und an die komischen Gesichter der Teilnehmer. Das lässt mich noch fester lachen.

Dann stehe ich wieder auf. Nach einem herzhaften Lachen sieht die Welt immer viel bunter aus.

Bild-126Viele Gäste sind bereits da. Wir beginnen zu grillen. Nach dem Essen sitzen wir im Kreis um ein Lagerfeuer. Die Gäste haben Djembes, Gitarren, Mundharmonika, Ziehharmonika,… mitgenommen. Wer singen und musizieren kann, musiziert, der Rest tanzt ausgelassen dazu. Von alt bis jung- jedes Alter ist vertreten.

Es ist soweit. Ich lese meine Dankesbriefe vor. Wir lachen und weinen. Die anderen hören zu. Ich fühle Dankbarkeit – da ist so viel wofür ich dankbar bin…

Ich lade andere ein, eine Rede zu halten. Einige sprechen über unsere gemeinsame Zeit, noch mehr Lachen und Weinen.

Das erinnert mich an das Zitat von Marshall Rosenberg: Das oberste Ziel im Leben ist, dass jedes Lachen gelacht und jede Träne geweint wird.

So true.

Ich beschließe, dass dieser Spruch auf meinem Grab stehen soll und verabschiede mich von meinen Gästen – lege mich schlafen.

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Was würdest du an deinem letzten Tag tun?

Würdest du auch zweifeln?

Was wäre dein größter Schmerz und deine größte Freude?
Ich bin gespannt auf deine Einfälle. Schreib ein Kommentar!

Alles Liebe,
Raphael

  1. Daniel Antworten

    Sehr schöne und berührende Geschichte! Vielen Dank 🙂
    Ich war vergangenes Wochenende am Wolfgangsee 😀

    • Raphael Antworten

      Hey Daniel, danke für deinen Kommentar! Sehr schöne Gegend – sollte ich die Möglichkeit haben dort meinen letzten Tag zu verbringen, bist du hoffentlich auch dabei! 😉

  2. Selina Antworten

    Das ist ein sehr schöner letzter Tag 🙂 Ein Freund von mir, der mir viel über das Leben beigebracht hat, ist Anfang dieses Jahres mit 31 gestorben. Seine Beerdigung war an meinem Geburtstag (komisches Gefühl). Oft wenn ich zweifle, dann denke ich an ihn und frage mich: „Was würde er jetzt an meiner Stelle tun, wenn er nochmal für einen Tag leben könnte?“ Ich spüre wie dann Energie durch meinen Körper fließt und ich meistens das tue, was mich mehr Überwindung kostet. Ich bin so dankbar dafür, dass er mich immer noch begleitet und mir hilft, mein bestes Leben zu leben.
    LG Selina

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