Heute empfange ich Yvonne Dathe von winmental.de zum Interview. Yvonne ist 4-fache Deutsche Meisterin im Gleitschirm-Streckenfliegen, Mental- und Kommunikationstrainer und studiert derzeit Psychologie. Wir hatten ein unterhaltsames Gespräch, indem ich viel von ihr gelernt habe. Auch für dich ist heute einiges drinnen.
In diesem Interview findest du:
- Was mentale Stärke für Yvonne bedeutet.
- Welche Routine sie im Alltag entwickelt hat, um in Stresssituationen entspannt zu bleiben.
- Wie sie sich zum Training motiviert und wie sie sich mental und psychisch für das härteste Gleitschirm Rennen der Welt vorbereitet.
- Wie in vielen Karrieren, blieb auch Yvonne nicht von Durchhängern verschont. Du erfährst, was ihr größter Durchhänger war und wie sie die Zeit unter anderem mithilfe des Mentaltrainings überwunden hat.
- Sie stellt außerdem ihre Lieblingsmethode vor, die sie in ihren Trainings den Teilnehmern mitgibt und spricht von ihrem schönsten Flug als Gleitschirmfliegerin.
Viel Spaß beim Lesen des Interviews:
Hallo Yvonne, wir beschäftigen uns ja beide mit mentaler Stärke. Was ist mentale Stärke für dich?
Mentale Stärke für mich bedeutet in Situationen, die Druck auslösen könnten oder unter denen ich unter Druck geraten könnte, ich dennoch mental so stark bin, dass ich die optimale Leistung abliefern kann. Ich kann nicht besser werden, als ich sonst bin, aber ich kann die normale Leistung, die ich im Training abrufen kann, auch in Stress auslösenden Situationen abrufen, unabhängig von äußeren und inneren Störungen.
Beschäftigst du dich bei mentaler Stärke auch mit Routinen?
Also Routinen sind ja mehr oder weniger Gewohnheiten. Gewohnheiten helfen einem in allen Bereichen weiter. Wenn ich routiniert handle, habe ich vielleicht keine Bestleistung, aber zumindest eine solide Leistung. Ich habe für mich z.B. eine Routine entwickelt, wenn ich in Stress gerate. Dann mache ich einen “Cross-Check”. Beim “Cross-Check” geht es darum, die Aufmerksamkeit umzulenken. Ich richte meine Aufmerksamkeit nach innen weit, dann innen eng, außen weit und zuletzt außen eng.
In meinem Fall konzentriere ich mich auf meine Schultern, die ich kurz anhebe. Ich atme ein und atme aus und entspanne die Schultern wieder. Wenn ich gerade fliege, schaue ich ins Cockpit, da habe ich Zettel dran gemacht wie z.B. “locker bleiben” und richte dann meine Aufmerksamkeit nach außen/weit und schau mir den Horizont noch mal an. Das Gleiche mache ich auch, wenn ich einen Vortrag halte und merke ich werde nervös.
In diesem Fall ziehe ich meine Schultern kurz hoch, atme einmal kurz ein und aus, entspanne mich, schaue auf meine Notizen, wo ich mir einen Smily drauf gemalt habe und blicke dann ins Publikum und schau mir die freundlichen Gesichter an. Das ist so eine kleine Routine, die dauert 1-2 Sekunden und hilft mir einfach wieder ruhig zu sein.
Die Aufmerksamkeit so umzulenken unterbricht die Stresskette. Es ist praktisch ein Stoppbefehl nicht dem Stress zu folgen.
Das Training ist ja nicht immer angenehm, wie motivierst du dich eigentlich zum Training?
Ich habe einen Trainingsplan und nachdem trainiere ich. 4x die Woche gehe ich laufen, egal wie das Wetter draußen ist. Wenn das Wetter schlecht ist, dann werde ich einfach laufen, auch wenn mein innerer Schweinehund anfängt zu rebellieren und zu sagen, es ist so kalt. Dann sage ich “hilft nichts, ich möchte in Monaco ankommen und gehe jetzt raus.” Ich ignoriere den dann einfach. Da hilft mir zum Glück auch mein Freund und Supporter. Gemeinsam ziehen wir uns dann raus. Wir haben uns außerdem angewöhnt, dass wir am Abend, einen kleinen Berg vor der Haustür rauf laufen und runter fliegen.
Du hast gerade erwähnt, dass du in Monaco ankommen willst. Du sprichst da vom Red Bull X-Alps Race oder? Das ist ja angeblich das härteste Adventure Race auf der Welt. 1000 km zu Fuß und mit dem Gleitschirm, klingt nach einer ordentlichen Strecke.
Ja die Route weiß ich noch nicht genau, sie wurde noch nicht veröffentlicht. Es geht zu Fuß und mit dem Gleitschirm. 7 oder 8 Teilnehmer sind letztes Jahr ins Ziel gekommen von ca. 30 Piloten.
Die Piloten bewerben sich aus der ganzen Welt. Es ist das bekannteste Gleitschirm Rennen, das es gibt. Ich weiß jetzt nicht genau, nach welchen Kriterien die auswählen, aber du musst fliegerisch gut sein. Läuferisch solltest du auch fit sein und alpine Erfahrung haben. Natürlich geht’s dann auch noch nach Bekanntheitsgrad.
Es gibt keine vorgegebene Route – außer die Wendepunkte. Die einzige Pause, die man einhalten muss, ist die Nachtruhe zwischen 22:30 Uhr und fünf Uhr morgens. In dieser Zeit dürfen sich Piloten nicht fortbewegen.
Ich habe gelesen es gibt eine Ausnahme, einmal dürfen die Teilnehmer Tag und Nacht durchlaufen.
Ja mit dem Nightpass. Wenn man den zieht, dann darf man auch die Nacht durchlaufen. Die Frage ist, ob das so viel Sinn macht, weil der Körper Pausen braucht, um konzentriert und sicher das Rennen machen zu können. Es macht höchstens zum Schluss Sinn. Wenn der Erste im Ziel ist, dann läuft das Rennen nur noch 48 Stunden.
Wie bereitest du dich und psychologisch/mental auf das Rennen vor?
Was ich auf jeden Fall machen werde, wenn die Route da ist, ist, mich mit dieser auseinander zu setzen. Wo sind die Schlüsselstellen, muss ich auf etwas besonderes aufpassen etc.
Was ich dann auch noch machen werde, ist, Handlungspläne zu erarbeiten. Zum Teil habe ich die auch schon. Wenn ich einen Tiefpunkt habe und mir denke, ich mag nicht mehr, dann denke ich an mein Kraftier, bei mir ist das mein Elefant. Der soll mich daran erinnern, dass ich ja durchhalten will und mich darauf freue, Monaco zu erreichen und laufe dann einfach weiter.
Solche Handlungspläne mach ich zu allen Situationen, die mir einfallen.
Es gibt zweier Teams: du und dein Freund/Supporter?
Ja das ist mein Freund. Er ist auch Pilot, kennt mich sehr gut und weiß wie er mich motivieren kann. Das ist der beste Supporter, den ich haben kann.
Was erhoffst du dir an psychologischer Unterstützung während des Rennens?
Mir hilft es schon, dass er einfach nur dabei ist – dass ich nicht alleine bin. Darüber hinaus wenn ich mal im Tief bin, weiß er, was er sagen muss, damit ich wieder dran glauben kann, dass es weiter geht. Außerdem erhoffe ich mir, das wird er auch sicher machen, dass er mir bei schwierigen Entscheidungen hilft. Das oberste Ziel ist nämlich gesund zu bleiben und ein sicheres Rennen zu laufen.
Klingt nach einer schönen Herausforderung! Anderes Thema: Was war einer deiner größten Durchhänger in deiner Karriere als Gleitschirmfliegerin.
Mein größter Durchhänger war, als ich 2010 in einem Wettbewerb einen Zusammenstoß mit einem Piloten hatte. Wir waren unverletzt. Nicht einmal ein Kratzer. Wir wurden dann mit der Rettung runter gefahren.
Da war allerdings danach dann das Problem, dass ich richtige Panikattacken in der Luft hatte, wenn mir ein anderer Pilot zu nahe kam. Und da war ich kurz davor zu sagen – ich lass das alles. Das macht doch gar keinen Sinn. Ich habe Angst in der Luft, was soll ich damit.
Dann habe ich über das mentale Training einen Weg für mich gefunden, das Ganze wieder zu bewältigen und aufzuarbeiten und wieder sicher im Pulk fliegen zu können. Wenn ich ganz ehrlich bin, hat es bei mir ca. 3 Jahre gedauert, bis es wieder richtig ging. Der “Cross-Check” war eine Übung, die mir da geholfen hat, wieder relaxt und entspannt zu sein.
Welche Übungen haben dir noch geholfen?
Ich habe darüber hinaus ein positives Selbstgespräch geführt. Dabei habe ich mir selbst gesagt: “ich schaue auf die Piloten auf meiner Höhe/unter mir und vertraue darauf, dass die Piloten über mir, genau so gut schauen wie ich”.
Dann bin in den Pulk reingeflogen und habe versucht, das umzusetzen. Außerdem habe ich probiert die Perspektive zu ändern. Nach dem Unfall war’s so, dass ich nach allen Piloten um mich herum geschaut habe. Die waren mir alle zu nah. So habe ich ein beklemmendes Gefühl bekommen. Als ich mir dann vorgenommen habe, dass ich auf die Freiräume im Pulk schaue und nicht mehr auf die Piloten, habe ich bemerkt, dass es eigentlich wahnsinnig viel Platz gibt. Ich habe nur auf die Piloten geachtet, die unmittelbar in meiner Nähe waren. Das sind normal so 4-5. So habe ich wieder ein befreites Gefühl bekommen. Ich habe realisiert, dass ich hier Platz habe und es alles sicher ist. Und wenn es mir zu viel geworden ist, dann bin ich rausgeflogen, habe wieder den “Cross-Check” gemacht, ein positives Selbstgespräch geführt und dann wieder versucht, in den Pulk rein zufliegen. Eine Zeit lang habe ich das so trainiert, bis es dann wieder geklappt hat und ich wieder fliegen konnte.
Was ist ein Pulk?
Durch Thermik entsteht Aufwind: die warme Luft erhitzt sich am Boden und steigt auf. Diese warme Luft gibt uns Gleitschirmpiloten Aufwind und hält uns in der Luft. In diesem Aufwind versucht man kreisend nach oben zu kommen. So bilden sich die Pulks – das sind praktisch viele Piloten, die nach oben kreisen
Jetzt waren wir beim größten Durchhänger – was war den einer deiner schönsten Momente beim Fliegen?
Da gab es ganz ganz viele schöne Momente. Ein ganz toller Flug war 2013. Da habe ich bei einem Hike and Fly Wettbewerb teilgenommen. Der schöne Flug war ziemlich unerwartet, weil wir 40 Grad hatten und ich mir nicht vorstellen konnte, dass sich da Thermik entwickelt. Ich bin auf den Berg raufgelaufen und hatte dann einen schönen ruhigen Flug.
Es ging am Chiemsee am Samerberg los, bin dann über Kössen und über das steinerne Meer geflogen. Das war so phänomenal über diese Felsen zu fliegen.
Wie lang warst du da in der Luft?
Da war ich so 6-7 Stunden in der Luft
Wenn man im Sommer Tandemfliegen will, dann kann man sich bei dir melden? 🙂
Ja, komm auch mal vorbei! [Anmerkung: Hier kannst du einen Tandemflug mit Yvonne buchen: www.flyteam.info]
Welche Methode aus deinen Trainings könntest du den Lesern empfehlen, die sie relativ schnell im Alltag anwenden können?
Eine Technik, die mir besonders gut gefällt, ist The Work von Byron Katie. Sie hinterfrägt mit vier einfachen Fragen, die augenscheinliche Realität. Man sollte sich im Prinzip Gedanken raussuchen, die Stress auslösen oder einen aufregen – sogenannte Glaubenssätze. Besonders geeignet sind Sätze wie:
- ich sollte
- du musst
- ich muss
- ich kann das nicht.
Diese Sätze schreibt man am besten auf – man kann’s auch im Kopf machen.
Die erste Frage ist: Ist dieser Gedanke wahr? Wenn ich mir die Frage so stelle, dann denke ich mir erst mal “na klar ist der wahr”. Sonst hätte ich den Gedanken ja nicht. Dann gehe ich zur 2. Frage: “Kann ich mir 100%ig sicher sein, dass der Satz wahr ist?” Bei der 2. Frage fangen dann die meisten schon an zu zweifeln. Da kommt dann: “ja schon vielleicht”. Wenn ein Vielleicht kommt, dann frage: “wie wäre die Umkehrung des Gedankens?” Dann überprüfe ich den Gedanken auch noch mal: “Ist der neue Gedanke wahr?”.
Wenn dann rauskommt, ja das stimmt oder ist vielleicht sogar noch mehr wahr als der alte Gedanke, dann könnte ich den Alten loslassen. Wenn ich dann noch eine Zusatzfrage stelle, nach dem Motto: “wie würde es mir denn gehen, wenn ich diesen Gedanken nicht mehr hätte”, und dann kommt: “da würd’s mir gut gehen” oder “da könnte ich gelassener sein”, dann ist das ein Grund, diesen Gedanken einfach mal los zu lassen und vielleicht den neuen Gedanken anzunehmen. Das ist so eine Art Realitätscheck. Entsprechen die Gedanken, die ich habe, überhaupt der Wirklichkeit?
Ich habe öfters mal Leute im Kurs, die sagen, dass sie nervös sind, weil sie Angst haben, was andere Menschen über sie denken könnten. Wenn die dann einfach mal fragen “stimmt denn das überhaupt? Achten die wirklich darauf, ob du da gleich einen Fehler machst?”
Wenn man das hinterfragt, ob man da 100%ig sicher sein kann, dann muss jeder eingestehen: “Nö ich weiß ja nicht, was der andere denkt.” Dann kann man den Gedanken ja auch einfach mal umdrehen und sich denken, die anderen wollen, dass ich erfolgreich bin oder die anderen wollen, dass ich die Sache gut mache oder die wollen mich unterstützen – mir helfen.
Die letztere Annahme hat dann bestimmt eine ganz andere Wirkung auf den Zustand und die eigene Selbstsicherheit
Ja genau.
Zum Abschluss habe ich noch ein paar Kurzfragen vorbereitet:
Was ist Erfolg für dich: Erfolg ist für mich das Leben zu führen, das ich mir erträumt habe.
Was ist die wichtigste Sache im Leben: glücklich zu sein
Gibt’s noch etwas, was ich noch nicht gefragt habe, du aber gerne sagen möchtest?
Ich möchte mich bei meinen x alps Supporter bedanken und bei meinen Sponsoren. Alleine wäre das nicht machbar und ja vielleicht hast du ja noch einen Tipp, wie ich mich mental oder psychisch darauf vorbereiten könnte.
Gerade habe ich keine Idee, aber wenn ich eine Idee bekomme, melde ich mich. 🙂
Vielen Dank für die Zeit!
Ich danke dir!
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Alles Liebe,
Raphael
Photocredits:
Danke Pixabay & Uta Philipp (Steinernes Meer)
Ich glaube auf dem Bild sind die drei Zinnen in den Dolomiten / Südtirol zu sehen…?
Hey Fab,
korrekt! Und die Route ist mittlerweile Online. Yvonne wird wahrscheinlich nicht an den Zinnen vorbeikommen. 🙂
LG,
Raphael